top of page

Lehrgespräche von Shibata Sensei XX. Völkermarkt 1996

Kanjuro Shibata XX. Sendai mit Kozue San

Lehrgespräche von Shibata Kanjuro XX. Sendai
Oktober 1996

Während des Kyudo-Seminares im Völkermarkt (Kärnten, Österreich) vom
27. Juli bis 4. August 1996 aufgezeichnet von Kozue Kinoshita und Alfred Schmidt.

Das Anbringen der Nakajikake (Umwicklung der Sehne)

Nach der Nachmittags-Teepause demonstriert Sensei das richtige Anbringen der Nakajikake (sprich: Nakadschikake). Der gespannte Yumi wird dabei mit dem Kopf zum Azuchi (Ziel) hin gehalten und mit dem Knie am Boden fixiert. Man beginnt mit der Umwicklung aus Hanf beim Nockpunkt und wickelt zuerst im Uhrzeigersinn nach unten, anschließend vom Nockpunkt nach oben. Die übrigbleibenden Enden der Hanffaden sollen mit einer Messerklinge abgeschabt - nicht glatt abgeschnitten - werden, dabei drehen sie sich auch in passender Weise ein wie bei einem Geschenkband.

Mit zwei kurzen Holzstücken (Doho) wird die Umwicklung anschließend geglättet. Doho sollte aus möglichst hartem Holz (Kirsche, Ahorn, Eiche) sein, und muss immer vom Leim gesäubert werden, weil es in verklebtem Zustand unbrauchbar ist. Das untere Holz (bzw. Hand) bleibt beim Glätten in Ruhe, nur das obere bewegt sich; beim Stück vom Nockpunkt nach unten wird Kraft nur beim Drücken ausgeübt, beim oberen Stück nur beim Ziehen.

Nakajikake sollte nicht zu dünn und nicht zu dick sein, sondern genau der Nocke entsprechen. (Es widerspricht der Etikette, die Sehne durch Schläge mit dem Kake-Daumen in die Nocke hineinzustoßen.)

Besonders für Anfänger kann ein Fixierungsknoten (Verdickung) direkt über dem Nockpunkt angebracht werden, damit der Ya beim Yumigamae nicht nach oben wegrutscht, - diese Hilfe ist zwar heute etwas außer Mode gekommen, war aber früher auch für das Schießen bei Nacht im Kampf notwendig.



Allgemeines zum Yumi  

Die Tsuru (=Sehne) besteht aus Hanf. Ihre korrekte Länge wird bestimmt, indem man im entspannten Zustand des Yumis die Tsuru an der Innenseite des Bogens angelegt und drei Fingerbreiten vom Bogenende abzieht.
Nach 150-200 Schüssen sollte die Sehne reißen, der Yumi wird dadurch völlig entspannt und kann sich regenerieren. Darum ist die Verwendung von Kunststoffsehnen nicht günstig.

(Die - möglichst in der Mitte - gerissene und wieder zusammengeknotete Sehne gilt außerdem als Glücksbringer, besonders für Schwangere.)
Sensei demonstriert das Anbringen einer kleinen Schleife (=Yasume-Zuru) am unteren Ende der Tsuru, mittels derer die Sehne im entspannten Zustand fixiert werden kann. Bis vor etwa 30 Jahren wurde diese Schlinge immer schon bei der Herstellung an der Tsuru angebracht.

Das Einreiben der Tsuru mit Hanfresten oder auch mit einer kleinen, aus alten Sehnen geflochtenen Sandale (Sensei führt es vor) glättet und stärkt sie (man reibt etwa 3mal von oben nach unten); auch ihr Klang wird dadurch schöner.



Die fünf Abschnitte der Tsuru

obere (rote )Schlinge: kami (=oben) shikake (=Manipulation, Vorrichtung)
längeres Stück oben: hari
Mitte (Umwicklung) : naka (=Mitte) shikake (oder auch saguri)
kürzeres Stück unten. saguri (=abtasten)
untere (violette od. weiße) Schlinge: shimo (=unten) shikake
Der korrekte Abstand (= Ha) des Nockpunktes an der Tsuru zum Yumi beträgt 5 Sun, d.i. etwa 6 inches (= etwa 15 cm). Durch Eindrehen kann die Tsuru geringfügig verkürzt werden, sonst muss immer kami shikake neu geknüpft werden.



Die Asymmetrie des Yumi 

Nach dem Mittagessen fragte ich (A.S.) Sensei einmal – mit Kozues Hilfe -, warum der japanische Yumi asymmetrisch ist, während die Bögen in andern Kulturen symmetrische geschossen werden. Sensei Antwort: „So kann nur jemand fragen, der den Bambus nicht kennt.". Die Knoten am Stamm des Bambuspflanze sind unten dicker und in kürzeren Abständen, nach oben werden sie zarter und die Abstande weitere (Sensei zeichnet es auf).
Genauso wie der Bambus gewachsen ist, ist auch die Richtung des Yumis, der untere Teil ist kürzer, weil hier der Bambus stärker ist, sonst gäbe es kein Gleichgewicht der Kräfte.

Sensei lässt uns raten, wie viel Bögen man aus einem Bambusstamm herstellen kann: nur einen!
Der Stamm wird zunächst in der Längsrichtung in vier Teile gespalten; die Teile, aus denen die Ästen herauswachen, können nur die äußere Deckschichte des Yumis nicht verwendet werden, nur die beiden anderen Teile. Dabei dürfen aber der vordere und hintere Bambus am Yumi nie von einem Stamm genommen werden - dies wäre so etwas wie Inzucht -, sondern es muss ein genau entsprechendes Paar von verschiedenen Stämmen gefunden werden. Dies gehört zum schwierigsten Teil bei der Herstellung, weil die Knoten des Bambus genau übereinstimmen müssen.



Falsche Behandlung des Yumis

Sensei weist bei der Kontrolle unserer Yumis immer wieder darauf hin, dass unrichtiger Umgang die Form des Yumis empfindlich beeinträchtigen kann.
Wird etwa beim Spannen des Gewicht zu sehr nach vorne und nicht gerade nach unten gelegt, so wird die untere Krümmung des Yumis immer schwächer, die obere stärker.
Ein zu fester Griff kann dazu führen, dass die Sehne beim Hanare auf die Rückseite des Yumis schnellt, dadurch kann der Yumi brechen.
Die Form des Yumis sollte - genaust wie Ha - immer überprüft werden.
Durch leichtes Beklopfen des Yumis mit dem Fingerknöcheln (oder auch durch Saugen mit dem Mund), kann man erkennen, ob sich eventuell der Leim zwischen den Holzschichten gelöst hat.
Sensei erzählt, dass die Bogenbauer den Yumi oft mit einer Tochter vergleichen, die in eine fremde Familie heiratet: je nach dem wie sie dort behandelt wird, geht es ihr besser oder schlechter; entweder wird sie sorgfältig beschützt und geachtet, oder sie wird ausgenützt und roh behandelt und schließlich davon krank werden.
Sensei betont, es sei wichtig den Yumi wirklich als Lehrer ernst zu nehmen. Er vergleicht die Situation mit der von Kindern, die nur mit Plastikgeschirr aufwachsen: Sie werden nie lernen, achtsam mit Porzellangeschirr umzugehen, weil sie seine Zerbrechlichkeit nicht kennen gelernt haben.



Allgemeines zum Praktizieren

Sensei erklärt, unser Hauptproblem wäre, dass wir alle beim Praktizieren zu viel denken. Wichtig sei es vor allem viel zu praktizieren, dann entwickelt sich der Stil von selbst. Jeder Kyudoka entwickelt in gewissem Maße seinen persönlichen Stil. Die Instruktoren sollten beim Korrigieren eher zurückhaltend sein.
Der eigene Yumi (und auch Ya) sollte niemals jemanden - auch nicht einem engen Freund - geborgt werden; das widerspricht der Etikette (so wie man auch die eigene Frau nicht jemandem borgt).

Es ist kein gutes Benehmen, bei Praktizieren den anderen den Vorzug zu lassen; besonders die Jüngeren (=kohai) sollten einfach (zwar mit höflicher Geste) vortreten, wenn ein Ziel frei ist; die Älteren (=senpai) können den Jüngeren den Vortritt lassen.
Wird der gespannte Yumi jemanden übergeben (zB Sensei, um ihn zu prüfen), so muss die Tsuru immer zum Empfänger gerichtet sein, dieser dreht ihn wiederum um. Dies deshalb, weil die Tsuru theoretisch jeden Augenblick reißen könnte, und so der Yumi in die andere Richtung (zum Gebenden) zurückschnellen würde (so wie man auch ein Messer nicht mit der Klinge nach vorne übergibt).
Sensei erklärt weiter, der Ausdruck Bogen "schießen" ist eigentlich unpassend; viel passender wäre es zu sagen, den Bogen 'drücken’. Das Kraftverhältnis zwischen drücken und ziehen beim Spannen sollte etwa 60 / 40 sein. (Nur bei der Technik des Schnellschießens - 100 Pfeil-Technik - kehrt sich diese Verhältnis um.)
Der Brustschutz (jap.: Tsuru-Suberi-Kawa = Tsuru-Gleit-Blatt), den Frauen immer tragen sollten, wurde früher auch von Männern bei entblößtem Oberkörper getragen, um beim Hikitori ohne hängenzublieben die Sehne glatt am Körper vorbeiziehen zu können.
Früher wurde an der Außenseite der linken Hand auch eine kleine Trommel aus Bärenfell (=Tomo) getragen, an die der Yumi, wenn er sich beim Hanare ganz herumdreht, anschlägt und so ein Geräusch erzeugt. Dieser Klang soll gegen Dämonen schützen.



Die richtige Länge des Ya 

Bei der Morgenpraxis sagt Sensei einmal zu mir (K.K.):'Ihre Pfeile sind zu lang. Beim Kai können sich 5 Spatzen oder zwei Tauben vorne auf der Pfeilspitze niederlassen. Durch zu lange Pfeile kann die Hälfte der Kraft des Schusses verloren gehen.
Die ideale Länge des Ya ist so, dass im Kai nur die Pfeilspitze über den Yumi hinausragt. Allerdings dauert es 10 Jahre bis man das volle Ausziehen (Hikitori) des Yumis erlernt, fügt Sensei hinzu. Ich wende ein: einige von uns konnten schon nach relativ kurzer Zeit so weit ausziehen. Dies sei der Fall -meint Sensei, wenn die Stärke des Bogens nicht passend (= zu schwach) ist.
Außerdem - erklärt Sensei - sei es auch etwas gefährlich, wenn der Pfeil diese ideale Länge habe, weil es passieren kann, dass man überzieht und gegen den Yumi schießt. Dabei kann man sich am Gesicht und Oberkörper sehr gefährlich verletzen. Sensei macht dazu eine Geste, wie wenn er viele kleine Holzsplitter mit dem Mund schnell hintereinander aus dem Arm heraussaugen würde. (Ich denke dabei, wahrscheinlich ist ihm das schon einmal passiert ?)



Das Treffen des Matos 

Während einer Vormittagspause frage ich (A.S.) Sensei, wie wichtig es sei, beim Hi-to-te das Mato zu treffen.
Sensei: " Es ist wichtig und es ist nicht wichtig. Aber eigentlich ist es unwichtig. Wenn die Form des Praktizierens richtig ist, kann man ein starkes Herz erlangen, das ist entscheidend."
Er fügt hinzu, viele von uns wären beim Hi-to-te ganz auf das Ziel und das Treffen-Wollen fixiert, würden dabei aber die Form vernachlässigen. Das sei schlechtes Kyudo.

Einmal nennt Sensei uns die drei grundlegenden Prinzipien beim Praktizieren:

 

  •   kin = Balance, Gleichgewicht

  •   kei = Leichtigkeit

  •   chu = Achtsamkeit, Gewahrsein

Sie sollte jeder Kyudoka kennen und immer nach ihnen streben.

 


Die fünf Finger

Sensei spricht nach der Eröffnung der Klasse am Morgen einmal kurz über die symbolische Bedeutung der Finger beim Kyudo:

der Daumen steht für jo (sprich: dscho) = bestimmen, festlegen, fixieren (der Daumen zeigt gerade zum Mato),


der Zeigefinger für ei = der Zustand der Nicht-Erleuchteten,

der Mittelfinger zen = die Güte ("Begegnen ist leicht, auseinandergehen schwer."),

der Ringfinger für jin (sprich: dschin) = (dummer) Gott,

 

der kleine Finger für riki= die Kraft

 

Weitere Erklärungen dazu gibt er nicht.

 

 

Einmal schreibt Sensei uns drei Grundsätze auf, welche die Lebenshaltung der Kyudoka bestimmen sollten:

1. Gegenseitiges Vertrauen, Verlässlichkeit

2. richtige Etikette

3. Einfachheit, Schlichtheit

 

 

bottom of page